Aktuelle Urteile im Straßenverkehrsrecht
TOP-NEWS 12/2020 – 28. November 2020 Eine Werkstatt, die 17,3 km entfernt ist, ist nicht mühelos erreichbar / Ersatz der UPE-Ausschläge und der Verbringungskosten bei fiktiver Abrechnung möglich Das AG Lübeck hat durch Urteil vom 09.11.2020 – Az.: 26 C 759/19 – entschieden, dass eine 17,3 km entfernte Werkstatt nicht mühelos erreichbar ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die markengebundene Fachwerkstatt deutlich näher am Wohnsitz des Geschädigten befindet. Das AG Lübeck hat nach den Grundsätzen des § 287 Abs. 1 ZPO die Ersatzfähigkeit der Beilackierungskosten bejaht. Das AG Lübeck hat auch den Ersatz der Verbringungskosten sowie UPE-Aufschläge zugesprochen, da gerichtsbekannt ist, dass in der Region Lübeck sowohl von markengebundenen Fachwerkstätten als auch von freien Werkstätten ganz überwiegend UPE-Aufschläge und Verbringungskosten erhoben werden.
Ersatz der pauschalierten Verbringungskosten Das AG Niebüll kommt in seinem Urteil vom 29.09.2020 – Az.: 10a C 543/19 – zu dem Ergebnis, dass der Geschädigte seiner Abrechnung Verbringungskosten in der von der Werkstatt berechneten Höhe zugrunde legen darf, wenn ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger sie als übliche Ersatzteilkosten auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Verbringungskosten dürfen mit einer Pauschale abgerechnet werden, wobei Verbringungskosten in Höhe von 120 € netto nicht als überhöht angesehen werden können.
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Hohe Schmerzensgelder durch Instanzgerichte |
Das AG Kiel kommt in seinem Urteil vom 8.7.2019 – 116 C 58/19 – zu dem Ergebnis, dass die Verbringungskosten zu erstatten sind. Es war für die Klägerin nicht von vornherein erkennbar, dass hier Kosten anfallen würden, die bei Wahl einer anderen Werkstatt nicht angefallen wären. Sie musste keine Werkstatt auswählen, die eine eigene Lackiererei hat. Zudem hat die Beklagte selbst grundsätzlich akzeptiert, dass Verbringungskosten bezahlt werden, sie hat diese lediglich der Höhe nach gekürzt. Man kann von der Klägerin nicht verlangen, dass sie ohne weiteres erkennen kann, dass die Verbringungskosten höher wären als woanders. |
Ersatz der Verbringungskosten |
Nach einem Urteil des Amtsgerichts Forchheim vom 3.12.2019 – AZ.: 70 C 530/19 – trägt das Werkstatt- und Prognoserisiko grundsätzlich der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung. Es kommt wegen der erfolgten Reparaturen nicht darauf an, ob einzelne im Rahmen der Reparatur durchgeführte Tätigkeiten bei einer ex-post- Beurteilung nicht erforderlich gewesen wären oder aber überhöht abgerechnet wurden. Dies gilt auch für die im vorliegenden Fall streitigen Verbringungskosten als Teil der Reparaturkosten. |
Verbringungskosten sind Teil der Reparaturkosten |
Das AG Lübeck hat durch Urteil vom 24.09.2020 – Az.: 26 C 853/20 – entschieden, dass die Kosten des Zweitgutachtens vom Schädiger zu ersetzen sind, wenn das Erstgutachten vom Schädiger oder von dessen Haftpflichtversicherer in Auftrag gegeben worden ist und aus Sicht des Geschädigten begründete Zweifel an der Richtigkeit dieses Gutachtens bestehen. Das vor Vergabe des Reparaturauftrags eingeholte Sachverständigengutachten zur Schadenshöhe diente dem Geschädigten zur Beurteilung, ob das unfallbedingt beschädigte Fahrzeug noch reparaturwürdig ist. Maßgebend war das Verhältnis des Wiederbeschaffungswerts zu den voraussichtlichen Reparaturkosten. Es kam für den Kläger entscheidend darauf an, ob die voraussichtlichen Reparaturkosten nicht mehr als 130 % des Wiederbeschaffungswerts ausmachen würden. Insoweit ist es unerheblich, ob die Beklagte dem Kläger vor Beauftragung des Zweitgutachtens bereits zugesagt hatte, Reparaturkosten in Höhe von 130 % des Wiederbeschaffungswertes zu erstatten. Da der Geschädigte aufgrund der Aussage der Werkstatt berechtigte Zweifel an der Richtigkeit des Reparaturwegs und damit auch hinsichtlich der ausgewiesenen Höhe der Reparaturkosten hegen durfte, war er berechtigt, sich durch die Einholung eines Zweitgutachtens Gewissheit darüber zu verschaffen, dass die voraussichtlichen Reparaturkosten bis max. 30 % über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs liegen. |
Ersatz der Kosten für Zweitgutachten und der Verbringungskosten |
Das Amtsgericht Offenbach am Main vertritt in seinem Urteil vom 20.07.2020 – Az.: 36 C 102/20 – die Auffassung, dass sich die Höhe der Sachverständigenkosten nach den von dem Sachverständigen bestimmten Netto-Reparaturkosten richtet. Die Reparaturkosten wurden plausibel ermittelt, substantiierte Einwendungen hiergegen hat die Beklagte nicht vorgetragen. Die Reparaturkosten sind gemäß den maßgeblichen Kosten einer markengebundenen Fachwerkstatt zu berechnen. Bei einem Netto-Reparaturschaden von bis zu 3.000 € hält das AG Offenbach ein Netto-Grundhonorar von 25 bis zu 30 % der Reparaturkosten für erstattungsfähig. Im vorliegenden Fall hat der Sachverständige lediglich rund 25 % der von ihm ermittelten Reparaturkosten als Netto-Grundhonorar geltend gemacht, was deutlich unterhalb der gerichtlichen Bemessung liegt, so dass der Klage stattzugeben war. |
Ersatz der Sachverständigenkosten richtet sich nach den Netto-Reparaturkosten |
365 Tage Nutzungsausfall nach Verkehrsunfall
Das Landgericht Bielefeld hat in seinem Urteil vom 15.11.2019 – 2 O 85/16 – entschieden, dass die Geschädigte einen Anspruch auf unfallbedingt entstandenen Nutzungsanfall für 365 Tage hat. Es bestehen keine Zweifel daran, dass die Geschädigte das Fahrzeug unter anderem für ihre täglichen Fahrten zur Arbeit benötigte. Die Geschädigte muss sich hinsichtlich der langen Dauer des Nutzungsausfalls kein Mitverschulden anrechnen lassen. Es ist ihr nicht anzurechnen, dass sich die Erstellung des Gutachtens hingezogen hat. Sie hat den Gutachter unmittelbar nach dem Unfall mit der Fahrzeugschadensfeststellung beauftragt. Dass die Begutachtung längere Zeit gedauert hat, war vielmehr dem Umstand geschuldet, dass das Fahrzeug zur genauen Überprüfung zu einer auf solche Sonderfahrzeuge spezialisierten Werkstatt verbracht werden musste.
Die Geschädigte muss sich auch nicht entgegenhalten lassen, dass mit der Reparatur nicht unmittelbar nach dem Vorliegen des Gutachtens begonnen wurde. Die lange Reparaturdauer ist insbesondere dem Umstand geschuldet, dass die Reparaturfirma ihre Leistungen von Vorschusszahlungen abhängig gemacht hat, welche die beklagte Versicherung jedoch nur zögerlich oder teilweise erbrachte. Die Geschädigte muss sich auch nicht entgegenhalten lassen, dass sie die Reparaturkosten nicht vorfinanziert hat. Auf Rücklagen konnte die Geschädigte nicht zurückgreifen. Die Aufnahme eines Kredits ist ihr unzumutbar, da dieser für sie nicht leicht zu beschaffen gewesen wäre und sie nicht nur unerheblich belastet hätte. Dass es deswegen, weil Ersatzteile beschafft werden mussten und Mitarbeiter der Reparaturfirma erkrankten, zu Verzögerungen bei der Reparatur kam, ist der Geschädigten nicht zur Last zu legen.
Die Geschädigte muss sich auch nicht vorhalten lassen, dass sie sich zur Schadensminderung kein Interimsfahrzeug angeschafft hat. Dies ist angesichts der finanziellen Verhältnisse der Geschädigten unzumutbar. Die Geschädigte musste auch nicht bei ihrem Arbeitgeber darauf drängen, dass ihr ein Firmenwagen auch zur privaten Nutzung zur Verfügung gestellt wird. Eine Notreparatur war aufgrund des vorliegenden Schadens nicht möglich.
Verspätetes Restwertangebot der gegnerischen Versicherung
Das Amtsgericht Bad Hersfeld kommt in seinem Urteil vom 4.12.2019 – Az: C 606/19 (20) – zu dem Ergebnis, dass der Geschädigte nicht verpflichtet ist, den Schädiger auf die Absicht des Verkaufs des Unfallwagens zum vom Sachverständigen ermittelten Restwert hinzuweisen. Vielmehr ist es das Recht des Geschädigten, die Schadensregulierung in eigener Regie vorzunehmen. Insbesondere ist der Geschädigte grundsätzlich nicht zu einer eigenen Erforschung des ihm zugänglichen Markts verpflichtet, sondern berechtigt, das Unfallfahrzeug nach de. im Gutachten nachvollziehbar ermittelten Wert zu veräußern. Nachvollziehbar ist ein solcher Wert für den Geschädigten, wenn er aus mehreren Restwertangeboten – mindestens drei – ermittelt worden ist.
Der Geschädigte hat nicht gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen, als er mit dem Verkauf des Fahrzeugs nicht abgewartet hat. Das Angebot der beklagten Haftpflichtversicherung ging erst nach der Unterzeichnung der Vertragsurkunde über den Verkauf des Unfallwagens ein.
Ersatz der Kosten der Beilackierung, der Verbringungskosten und der UPE-Aufschläge
Das Amtsgericht Schleswig vertritt in seinem Urteil vom 8.1.2020 – 21 C 21/19 – die Auffassung, dass die Kosten der Beilackierung dann zu ersetzen sind, wenn die Beilackierung erforderlich ist, um abrupte Farbunterschiede zu vermeiden, die entstünden, wenn lediglich die ausgebesserte Tür neu lackiert würde. Schon durch die im Rahmen der Reparaturarbeiten notwendige manuelle Lackierung entsteht ein anderer Farbton als bei der industriellen Lackierung, wie sie der PKW des Klägers im Übrigen aufweist. Auch die Verbringungskosten sind dem Kläger zu ersetzen. Diese entstehen, weil im gesamten Kreis Nordfriesland keine dort ansässige Kfz-Werkstatt über eine eigene Lackiererei verfügt und damit der PKW des Klägers zu einem Lackierunternehmen hin- und zurückgebracht werden musste. Dem Kläger steht es frei, seinen PKW im Kreis Nordfriesland nahe seiner Arbeitsstätte reparieren zu lassen. Es ist ihm nicht zuzumuten, den PKW in einer außerhalb des Kreisgebiets gelegene Kfz-Werkstatt zu bringen. Auch die UPE-Aufschläge sind erstattungsfähig. Diese werden von den Werkstätten üblicherweise erhoben.
Ersatz der Verbringungs- und Transportkosten
Das AG Eckernförde kommt in seinem Urteil vom 15. Oktober 2019 – 6 C 682/18 – zu dem Ergebnis, dass die Kosten für die Verbringung des beschädigten Fahrzeugs zum Lackierbetrieb zu erstatten sind. Der Geschädigte hat auch Anspruch auf die Erstattung der in Rechnung gestellten Transportkosten für den Rücktransport des reparierten Fahrzeugs. Eine Verletzung des Gebots zu wirtschaftlichem Handeln liegt erst dann vor, wenn die Aufwendungen unverhältnismäßig sind. Dabei ist der Geschädigte nicht gehalten, eigene Arbeits- oder Urlaubszeit aufzuwenden, um die Transportkosten möglichst gering zu halten. Die im vorliegenden Fall angefallenen Kosten von 773,50 EUR bewegen sich zwar im oberen Bereich dessen, was noch als angemessen bezeichnet werden kann. Sie sind gleichwohl nicht so hoch, dass der Geschädigte sie bei vernünftiger Betrachtung nicht mehr für erforderlich halten durfte, wie sich im Rahmen einer Internetrecherche zu Überführungskosten von Neu- und Gebrauchtwagen feststellen lässt. Die Beträge sind als Bruttobeträge zu erstatten, da die Umsatzsteuer bereits durch Rechnungsstellung angefallen ist.
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